Ohne Kreativität keine Ideen, keine Entwicklung und keine Innovation. Sie ist der Motor für Neues; inspiriert, beflügelt und eröffnet neue Horizonte. In diesem Spannungsfeld steht „The Creative Act“ des bekannten Musik-Produzenten Rick Rubin. Das Buch sammelt die Ideen von Rubin über Kreativität und seine spirituelle Sicht darauf.
The Creative Act: A Way of Being
Rick Rubin
Verlag: Canongate Books Ltd.
Seiten: 432
ISBN: 978-1838858636
Jahr: 2023
Inhalt
Zielgruppe
Bevor ich das Buch bespreche, ein paar Gedanken zur Zielgruppe. Auf der einen Seite gibt es Leute ohne Zugang zu ihrer Kreativität. Für diese ist Rubins Buch sicherlich ein Ausgangspunkt sich mit ihrer Kreativität auseinanderzusetzen und selbst den Mut aufzubringen, selbst kreative Dinge zu tun.
Auf der anderen Seite gibt es Leute wie mich: Mit viel praktischem und theoretischem Wissen über Kreativität, die ich als Ingenieur, Künstler, Musiker und Autor ausleben. Für diese Personengruppe bietet das dicke und schön gestaltetes Buch wenig Neues. Trotzdem ist das Buch lesenswert.
Egal zu welcher Gruppe du gehörst, vergess auf jeden Fall Rick Rubins Tipp zu seinem geplatzten Blinddarm. Wenn deiner Platz, lass ihn entfernen. Dass Rubin noch lebt, obwohl er sich dagegen entschieden hat, ist mehr Glück als Verstand!
Leben heißt kreativ sein
Die Botschaft des Buchs ist einfach: Jeder ist kreativ. Für Rick Rubin ist das Mantra Ausdruck seiner Überzeugung. Für ihn ist Kreativität zweck des Lebens und unsere Verbindung zum Universum. Dieser spirituelle Ansatz ist nicht für jeden Leser etwas, aber mich hat er beim Lesen nicht gestört. Rubin sieht die Welt so und das kann er auch.
„Living life as an artist is a practice. You are either engaging in the practice or you’re not. It makes no sense to say you’re not good at it. […] We tend to think of the artist’s work as the output. The real work of the artist is a way of being in the world.“
Jedes Kapitel ist nur 2-3 Seiten lang und durch ein ein- oder zweizeiligen Zitat-Schnipsel über Kreativität getrennt. Die Kapitel hängen zusammen, bilden aber keine Struktur in dem Sinne. Jedes Kapitel ist voller inspirierender Sätze – jede Seite kann nach dem Zufallsprinzip aufgeschlagen werden, um einen Tipp zu finden. Einige sind nützlich, ander raten fünf Minuten auf ein Kissen einzuschlagen. Das mag in manchen Situationen helfen, doch sind diese eher rah.
Der kreative Prozess
Das Buch ließt sich dabei wie ein Selbsthilfebuch Kreativität, ohne eine Anleitung für Kreativität zu bieten. An sich beschreibt Rubin einen kreativen Prozess, der dem gängigen Verständnis entspricht, ohne ihn explizit zu formulieren:
- Impressionen aufnehmen: Geh mit offenen Sinnen durch die Welt. Halte alles fest, was dich inspiriert.
- Ideen kultivieren: Verarbeite die Eindrücke und lass deine Ideen sprießen, ohne sie sofort zu bewerten.
- Projekt überarbeiten: Bring deine Ideen in eine konkrete Form und arbeite iterativ. Der erste Entwurf muss nicht perfekt sein.
- Fertigstellen: Schließe dein Projekt ab und präsentiere es der Welt. Sieh den Abschluss als Teil eines kreativen Kreislaufs.
Zwei interessante Twists
Zwei für mich interessante Dinge behandelt „The creativ Act“ darüber hinaus:
- Einen eigenen Geschmack entwickeln
- Eine bereichernde Zusammenarbeit leben
Geschmack
Es ist keine neue Erkenntnis, dass kreative Ideen nicht aus dem Nichts kommen, sondern eine Kombination unserer Wahrnehmung der Außenwelt sind. Manchmal sind wir uns dieser Quellen bewusst, aber meistens kombiniert unser Gehirn sie ohne unser Zutun und manifestiert das Ergebnis in Träumen, Intuitionen und Fragmenten im Unterbewusstsein. Was unsere Idee einzigartig macht, ist die Art und Weise, wie wir verschiedene Quellen mit unserer eigenen Interpretation kombinieren, um etwas völlig Neues zu schaffen.
Das bedeutet laut Rubin aber auch, dass wir bei der Aufnahme von Eindrücken darauf achten müssen, Was und Wie wir konsumieren.
Was konsumieren
Das Was ist relativ einfach zu verstehen: Garbage In, Garbage Out. Wer immer nur das gleiche belanglose Zeug konsumiert und sich nie Neuem aussetzt, wird keine neuen Ideen bekommen, sondern zum ideenlosen Zombie in seiner Echokammer.
Wie konsumieren
Andererseits müssen wir uns für das Wie mehr anstrengen. Unser Geist nimmt die Umwelt durch einen Filter wahr, um Energie zu sparen. Wer immer allen Sinneseindrücken seine volle Aufmerksamkeit schenkt, wird wahrscheinlich verrückt. Wer sich aber öfter anstrengt und versucht, die Dinge anders zu sehen, schafft neue Grundlagen für Ideen. „The Creative Act“ regt dazu an, die Welt wieder mehr wie ein Kind zu sehen, mit staunenden Augen.
„Look for what you notice but no one else sees.“
Zusammenarbeit
Rubin ist vor allem als Produzent von Musik bekannt und als solcher betont er die Wichtigkeit von Zusammenarbeit für kreative Lösungen. Damit liegt er auf einer Linie mit „Two Beats ahead“, doch gibt er diesem noch einen Twist. Rubin betont, dass eigener Input zu dem Werk anderer genauso wichtig ist, wie zu erkennen, wann man selbst nichts hinzuzufügen hat. Es geht um die beste Lösung, nicht um das Ego. Oft neigen wir dazu, etwas hinzufügen zu wollen, einfach weil wir gefragt wurden. Dabei ist es entscheidend nur etwas beizutragen, wenn es das Ergebnis verbessert.
Und selbst wenn wir etwas vorschlagen, sollten jede Iteration der Idee eigenständig betrachtet werden. Prüfe nicht mit einer Checkliste ob dein Partner dein Input umgesetzt hat, sondern betrachte jede neue Version mit frischen Augen und behandle sie als neues Werk. Nur so kann die beste Lösung entstehen.
Fazit
Alles in allem hinterlässt mich das Buch inspiriert und verwirrt, da es nicht weiß, was es sein möchte. Es ist kein Ratgeber oder Selbsthilfebuch, aber auch keine theoretische Abhandlung. Es ist mehr eine Sammlung inspirierender Gedanken und Praktiken. In einem Interview sagte Rubin selbst:
„I set out to write a book about what to do to make a great work of art. Instead, it revealed itself to be a book on how to be“
Wenn ich in Zukunft Ideenlos bin, schlage ich „The creative Act“ auf einer beliebigen Seite auf und lass mich von den dortigen Überlegen irgendwo hin tragen. Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft von Rubin: Ausgangspunkte für Kreativität finden sich in jeder Situation, wir müssen sie nur erkennen und mit Mut umsetzten.
Der Autor: Rick Rubin
Ob als Mitbegründer des Labels Def Jam oder Produzent, ohne Rick Rubin hätten die 90er und 2000er anders geklungen. Als Produzent war er an vielen erfolgreichen Alben der beiden Jahrzehnte beteiligt. Er war so prägend für die Periode, dass ihn MTV 2007 zum wichtigsten Produzenten diesesr Zeit erklärte. Dabei ist Rubin nicht auf ein Genre festgelegt, sondern übergreifend tätig. So zählen Alben des Hip-Hop, Metal, Country und Pop zu seinem Katalog.
Rick Rubins Spiritualität hat ihren Ursprung in einer ganzheitlichen Weltsicht, die sich aus fernöstlichen Lehren und kosmischen Einflüssen speist. Dies spiegelt sich auch im Namen seines kalifornischen Studios Shangri-La wider, das sich seit 2011 in Malibu befindet.