„Wir müssen uns auf andere verlassen?“, fragt der CEO.
„Ohne Kontrolle über sie? Um Himmels willen, warum sollten wir das tun?“, ergänzt der COO.
„Verlass dich auf andere und du bist verlassen!“, zitiert der CMO.
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die Reaktion von Führungskräften vorzustellen, sobald das Gespräch auf Innovations-Ökosysteme kommt. Kunden kreieren durch die Kombination einzelner Produkte eine angepasste Lösung. Die Palette solcher Systeme reicht von den Appstors über Autoreifen bis zu Solaranlagen. Auf der anderen Seite stehen Risiken durch die Partner, die sich nicht reduzieren lassen, da keine Verträge existieren.
Um die Gefahren zu verringern, braucht es Wissen um die speziellen Herausforderungen. Auf diese Weise gelingt ein vorbeugendes Vorgehen.
Exkurs: Innovation-Ökosystem
Ein Innovations-Ökosystem ist eine besondere Kooperationsform von Unternehmen, wobei eine Definition für diese Systeme nicht existiert. Aufgebaut ist die Kooperation um die UVP, eine unique value proposition, ein einzigartiges Wertversprechen an Nutzer. Besonders an einem Innovations-Ökosystem ist, dass nicht ein Unternehmen diese herstellt oder vertreibt. Der Anwender stellt sich eine individuelle Lösung selbst zusammen. Einige Firmen nehmen dies dem Verwender ab. Die Mitglieder des Ökosystems verbinden sich Vertraglich nicht miteinander. Jedes agiert unabhängig für seinen Vorteil. Viele Ökosysteme bauen um ein zentrales Produkt auf, wie die Appstors. Andere Systeme besitzen kein Zentrum, wie beispielsweise Autoreifen und Solaranlagen.
Weitere Informationen: Innovations-Ökosysteme und kooperative Innovation
Risiken in der Entwicklung
Entwicklung sind voller Risiken. Neben den internen Risiken kommen noch Probleme durch die Abhängigkeit von externen hinzu. Teilweise dauert es eine Weile bis neue Lösungen von anderen Firmen angenommen werden.
Tun wir das Richtige?
Verzögerungen, steigende Kosten und kommerziell hinter den Erwartungen. Das sind die Probleme jedes Projekts und heißt Initiativrisiko. Der A380 von Airbus nahm all diese Probleme mit.
- 1994 begannen die Überlegungen für das größte Passagierflugzeug.
- Der offizielle Start des Programms war im Jahr 2000.
- Die erste Auslieferung des Flugzeugs datiert auf 2007 und damit zwei Jahre hinter dem Zeitplan.
- Die Kosten summierten sich auf 12 Milliarden € überschritt die Planung um über 3 Mrd. €.
Der Absatz des Flugzeugs blieb enttäuschen. Von den angedachten 1.200 Maschinen wurden 251 bestellt. Anfang 2019 kündigte Airbus an, den A380 auslaufen zu lassen. Am 16. Dezember 2021 wurde der letzte A380 von Emirates übernommen.
Jedes Projekt ist mit Risiken verbunden. Dagegen hilft Vorbereitung und testen der Idee mit wenig Ressourcen. Kundenbefragungen, Machbarkeitsstudien und Pretotyping vor dem Start sind einige der Werkzeuge und nicht spezifisch für kooperative Projekte.
Projekte für Innovations-Ökosysteme haben eine Besonderheit, sie brauchen internes und externes Momentum. Für ersteres braucht es Unterstützung aus dem Unternehmen. Benötigt wird zusätzlich externes Momentum. Partner müssen von der Idee überzeugt werden und eigene Ressourcen in ihre Projekte investieren. Internes und externes Momentum fördern sich gegenseitig. Bleibt eins aus oder nimmt ab, stirbt das Ökosystem vor seiner Geburt.
Was machen die anderen da?
Das Interdepenzrisiko entsteht durch die Abhängigkeit von anderen Unternehmen. Stellen wir uns vor, dass für die Lösung das Ergebnis einer zweiten Firma benötigt wird. Die eigene Arbeit ist erledigt, aber die beim Partner verzögert sich. Solch eine Konstellation gibt es auch bei Auftragsarbeiten. Ich kenne solche Fälle aus eigener Erfahrung in Projekten zur Modernisierung von Schienenfahrzeugen. Das Fahrzeug eines Kunden soll eine neue Bussteuerung erhalten und damit Lokomotiven “fernsteuern” können. Die technischen Details lassen wir an dieser Stelle aus und konzentrieren und auf die Konstellation aus beteiligten drei Firmen:
- Wir als Systemintegrator und ausführende Kraft.
- Unser Kunde Heiner, dem das Fahrzeug gehört.
- Eine dritte Firma, die wir Simon nennen. Sie liefert die Soft- und Hardware.
Heiner hat ein Vertragsverhältnis mit uns und mit Simon, allerdings gibt es keine formelle Verbindung zwischen Simon und uns. Mit uns wurde eine Projektlaufzeit von fünf Monaten vereinbart. Mit Simon sechs, wobei er den Auftrag acht Wochen nach uns bekam. Durch diese Ausgangslage kann unser Termin nicht eingehalten werden, was in der Abbildung zu sehen ist.
Offensichtlich verlängert sich die Projektlaufzeit gravierend und unserer Seite gab es keinen Hebel die Durchführung zu beschleunigen. Mehr Ressourcen auf das Problem zu werfen, verkürzt unsere Durchlaufzeit, doch hat auf das gesamte Projekt keine Auswirkung.
Besser ist eine enge und regelmäßige Abstimmung zwischen den Unternehmen mit einem gemeinsamen Ziel. So gehen wir in dem Beispiel vor. Zusätzlich haben wir alternative Pläne erstellt, um frühzeitig auf Probleme zu reagieren.
Wieso nutzt das keiner?
Ein weiteres Risiko entsteht, wenn die Lösung in die Wertschöpfung anderer Unternehmen eingefügt und ist als Integrationsrisiko bekannt. Der Erfolg einer Innovation hängt von anderen Firmen ab. 1997 entwickelte Michelin einen Reifen, mit dem im Falle einer Reifenpanne noch einige Zeit weitergefahren werden kann. Für Verbraucher war er nicht kaufbar. Um den Fahrer auf einen nötigen Werkstattbesuch nach einer Reifenpanne hinzuweisen, nutzt die Innovation eine Anzeige im Armaturenbrett. Die Reifen werden nur in Fahrzeugen verwendet werden, die für den Einsatz ausgelegt sind. Michelin musste warten, bis die Autohersteller ihre Entwicklungsfenster öffnen. Dies geschieht oft drei bis vier Jahre vor Beginn der Serienproduktion.
Dadurch ergibt sich noch ein zweites Problem, da durch die Wartezeit die Priorität intern anders verteilt werden. Das Projekt verliert an Momentum. Wenn externe das Gefühl haben, dass wir selbst nicht zu 100% hinter der Idee stehen, überlegen sie es sich nochmal. Fällt dann jedes externe Momentum für das Ökosystem weg, kollabiert das System, bevor es richtig begonnen hat. Hier gilt es rechtzeitig auf mit Gesprächen anzufangen und die Vorteile der Integration zu betonen.
Was dagegen tun?
Wieso lassen sich Unternehmen auf Innovations-Ökosysteme ein? Jeder Partner kann sich auf seine Stärken konzentrieren. Der große Mehrwert für den Kunden entsteht durch die Kombination der einzelnen Beiträge.
Positive Beispiele für funktionierende Ökosysteme gibt es viele. Der PC-Markt mit seinen unzähligen Hard-, Softwarefirmen, Händlern und Dienstleistern, der um das Betriebssystem Microsoft Windows aufgebaut ist. Rund 85% Marktanteil für dieses Betriebssystem macht es für die anderen Mitglieder des Ökosystems zu einem lohnenden Ziel.
Ein Unternehmen muss sich vor Projektstart entscheiden:
- Ein Projekt mit großen internen Risiken angehen
- oder ein Projekt mit kleinen internen Risiken, aber großen externen.
Der erste Fall kann zu eigenem Chaos und Problemen führen, aber mit direkter Kontrolle. Liegen die Risiken alle bei anderen, ist man von diesen abhängig.
Risiken im Markt
Auch nach erfolgreicher Markteinführung drohen Risiken durch die Partner. Unterschiedlich verteilte Macht im Ökosystem bedroht kleine Teilnehmer und übermäßige Wertabschöpfung durch einzelne Teilnehmer das gesamte System.
Die Nutzen ihren Einfluss!
In den meisten Ökosystemen ist der Einfluss zwischen den Teilnehmern ungleich verteilt. Gerade die zentralen Akteure nutzen ihre Stärke für ihren Vorteil. Man bezeichnet dies als Macht-Ungleichgewicht. Apple unterbindet auf seinen mobilen Geräten den Zugriff auf die NFC Funktion. Somit ist Apple Pay die einzige Option ohne Kontakt mit einem IPhone zu bezahlen.
Dritte haben keine Möglichkeit eigene Lösungen auf dem IPhone anzubieten. Der Konzern aus Kalifornien begründet die Maßnahme mit Sicherheitsbedenken. Selbst wenn das der Wahrheit entspricht, ist der Gewinn durch das Monopol im Ökosystem ein angenehmer Nebeneffekt.
Zum Lösen trägt meist ein dritter neutraler bei. Im Fall von Apple sind das die Monopolwächter der Länder, die genau die Situation beurteilen. Ein weiterer möglicher Schritt ist es einen starken Partner zu gewinnen, der als Vermittler auftritt oder das Machtverhältnis verändert.
Jeder ist sich selbst der Nächste
Jeder beteiligte an einem kooperativen System hat seinen eigenen Vorteil im Sinn. Nun kommt es vor, dass einzelne Teilnehmer versuchen mehr Wert aus dem System zu ziehen als sie beisteuern. Sie handeln opportunistisch. Dann kannibalisiert es sich selbst und es gibt keinen Mechanismen dies zu verhindern.
Ursächlich sind hohen Transaktionskosten zwischen den Unternehmen. Der Wert der gemeinsamen Lösung muss diese zusätzlichen Kosten kompensieren. Dies geht bis zu einem bestimmten Punkt. Sind sie zu hoch macht eine Lösung von einem Unternehmen mehr Sinn.
Viele Teams organisieren ihre Entwicklung mit einem Ökosystem aus Produkten:
- Outlook
- Excel
- Google Docs
- Trello
- Slack
- Jira
- Evernote
- und noch vieles mehr.
Alles spezialisierte Produkte, alle sehr gut. Aber wenn die Schnittstellen zu viel werden und die Kosten dadurch explodieren? Dann wechselt man zur Saas Lösung Basecamp, die viele der Funktionen vereint. Der Nutzer spart Kosten. Auch wenn Basecamp auf jedem Gebiet nur 80% der Leistung erreicht wie die Konkurrenz. Als All-in-One Packet schlägt es in vielen Fällen die Lösung des Ökosystems.
Gegen opportunistisches Verhalten helfen drei Dinge:
- Regelmäßige Gespräche führen und ein enges Verhältnis mit den anderen aufbauen.
- Die eigene Position durch Verträge absichern.
- Die Situation eskalieren und zum Gegenangriff übergehen.
Die brauchen uns nicht mehr 🙁
Wenn eine Firma maximal opportunistisch handelt, beginnt sie andere aus dem Ökosystem zu verdrängen. Sie greift Marktanteile ab oder beginnt vor- und nachgelagerte Wertschöpfung selbst zu übernehmen. Langfristig löst sich das Ökosystem auf. In der Anfangszeit integrierte Tesla zugekaufte Akkus aus Laptops. Inzwischen fertigt das Unternehmen viele Komponenten selbst und erbringt fast die gesamte Wertschöpfung im Haus.
Wichtig ist ein einzigartiger Beitrag zum System als Schutz. Patente, Schutzrechte und starke Partnerschaften mit anderen Verdrängten bieten einen gewissen Schutz.
Mit gefangen, mit gehangen
Öffentlich wird das Unternehmen mit dem Wertversprechen verbunden und steht mit seinem Namen dafür ein. Kontrolle über Qualität besitzt es nicht. Probleme der Partner schlagen auf die Marke zurück und beschädigen sie. Keine schöne Situation für eine Firma. Hiergegen helfen Verträge und eine eigene Marke für das Ökosystem.
Was dagegen tun?
Im Markt entstehen die meisten Probleme durch unterschiedliche Ziele und Vorstellungen der Partner im Ökosystem. Regelmäßig miteinander sprechen und ein gutes Verhältnis untereinander beugt den meisten Risiken vor.
Verträge sind eine weitere Möglichkeit, obwohl dies dem Grundgedanken eines Ökosystems widerspricht. Durch einen Vertrag ist die Kooperation nicht freiwillig. Die lose Zusammenarbeit ermöglicht flexible Lösungen, die dann nicht möglich sind.
Mehr lesen
- Alexander Bergström, Anton Karlson – Risk management in a business ecosystem -> Link
- Michael-Alexander George – Innovation Ecosystem -> Link
- Ron Adner – Match Your Innovation Strategy to Your Innovation Ecosystem -> Link
- Ron Adner – The Wide Lens -> Link
Kennt ihr noch weitere Risiken oder Gegenmaßnahmen? Hab ihr Beispiele? Dann kommentiert oder schreibt mir auf LinkedIn.